Medikamente
· Abbaubremsende Medikamente (Antiresorptiva)
SERM’s (Selektive Östrogen-Rezeptor-Modulatoren):
- Was sind SERM’s?
- Wirkmechanismus
- Effekte auf den Knochen
- Welche SERM’s gibt es?
- Nebenwirkungen und Einnahmevorschriften
- Positive Nebeneffekte
Diese Gruppe von Medikamenten bietet ein hoch interessantes und neues Therapieprinzip der Osteoporose. Das Wirkprinzip ist wie bei den Bisphosphonaten eine sehr effektive Hemmung des weiteren Knochenabbaus, jedoch aufgrund eines völlig anderen Wirkmechanismus. Dahinter steckt allerdings ein komplizierter Name: SERM’s – sog. selektive Östrogen-Rezeptor-Modulatoren. Was ist darunter zu verstehen?
Der Name selektive Östrogen-Rezeptor-Modulatoren lässt eine gewisse Verwandschaft zu den Östrogenen vermuten. Allerdings muss ganz klar gesagt werden: bei den SERM’s handelt es sich weder um Östrogene noch um Hormone! Das erste Medikament dieser Klasse, welches bisher zur Behandlung und zur Prävention (Vorsorge) der Osteoporose zugelassen ist, ist das Raloxifen (Evista®). Von den Östrogenen ist ja schon lange bekannt, dass diese den Knochenabbau bremsen oder hemmen, wobei die Wirkung nicht über die Ausbildung einer „Schutzschicht“ am Knochen – wie bei den Bisphosphonaten – vermittelt wird, sondern über eine direkte Hemmung der Aktivität der knochenabbauenden Zellen, der Osteoklasten. Hormone (Botenstoffe) sind generell Substanzen, die meist eine Vielzahl von unterschiedlichen Wirkungen an zahlreichen Zielorganen ausüben. So stimulieren die Östrogene z.B. das Wachstum der Gebärmutterschleimhaut, damit sich die befruchtete Eizelle dort einnisten kann (eine wesentliche Voraussetzung zur Erhaltung unserer Art). Daneben beeinflussen Östrogene aber u.a. auch die Herz-Kreislauffunktion, die Haut, das körperliche Wohlbefinden, das Wachstum der Brust etc. und eben auch den Knochenstoffwechsel über eine Verringerung der Aktivität der Osteoklasten. Das Wegfallen dieser Bremswirkung auf die Osteoklasten nach der Menopause ist ja gerade die zentrale Ursache, die zur Bezeichnung „postmenopausale Osteoporose“ geführt hat. Damit aber ein Hormon überhaupt eine Wirkung an einem Zielorgan entfalten kann, muss ein sog. Rezeptor an diesem Zielorgan vorhanden sein, der genau für dieses Hormon passt – ähnlich wie ein Schlüssel auch nur in das für ihn vorgesehen Schloss passt. Dies ist in etwa vergleichbar einem Ankerplatz, an dem auch nicht jedes Schiff, sondern nur ein z.B. von der Größe passendes Schiff anlegen kann. Rezeptoren entsprechen solchen Ankerplätzen. Ein Östrogen-Rezeptor ist also eine Art Ankerplatz für Östrogene. Die SERM’s haben nun eine sehr ähnliche Molekülstruktur wie Östrogene. SERM’s wie das Raloxifen können also die Ankerplätze (Rezeptoren), die ursprünglich für die Östrogene reserviert waren, nutzen. Damit haben wir schon den Begriff Östrogen-Rezeptor beschrieben. Modulation heißt soviel wie ändern oder beeinflussen. Ein Östrogen-Rezeptor-Modulator „ankert“ also an diesem und löst damit eine gewisse Wirkung an diesem Organ (Hafen) aus. Im menschlichen Körper gibt es aber unterschiedliche Ankerplätze (Rezeptoren) an den Zielorganen für die Östrogene. Während Östrogene an jedem Rezeptor (Ankerplatz) eine östrogentypische Wirkung auslösen, bewirken selektive Östrogen-Rezeptor-Modulatoren an dem einen Rezeptor einen östrogenähnlichen und an einem anderen Rezeptor einen gegensinnigen Effekt .
SERM’s wirken an den Osteoklasten (knochenabbauende Zellen) ähnlich wie Östrogene und bremsen bzw. verhindern den weiteren Knochenabbau, wahrscheinlich sogar effektiver als die Östrogene selbst. Diese antiresorptive Wirkung erfolgt durch eine unmittelbare Beeinflussung der Östrogenrezeptoren (Östrogen-Ankerplätze) an diesen Zellen, welche dadurch deutlich in ihrer Aktivität vermindert werden. Die Folge ist ein Absinken bzw. eine Normalisierung einer krankhaft erhöhten Knochenabbaurate. Im Gegensatz zu den Bisphosphonaten ist dies jedoch eine physiologischere (natürlichere) Wirkweise, denn die SERM’s werden nicht – wie die Bisphosphonate – in den Knochen eingebaut und verbleiben daher auch nicht über längere Zeit im Körper. An der Gebärmutterschleimhaut oder an der Brust wirken die SERM’s hingegen völlig anders als Östrogene, nämlich wie Antiöstrogene. Antiöstrogene wie Tamoxifen werden seit langem zur Nachbehandlung bei Brustkrebs eingesetzt, um ein Rezidiv (erneutes Auftreten) zu verhindern. Als man entdeckte, dass Tamoxifen® auch den Knochenstoffwechsel etwas positiv beeinflusst, hat man hier gezielt weiter geforscht und Raloxifen entwickelt. Raloxifen hat nicht nur eine wesentlich bessere Wirkung auf die Senkung der Knochenabbaurate als Tamoxifen, sondern es bewirkt im Gegensatz dazu keinerlei Stimulation der Gebärmutterschleimhaut. Dies ist auch ein Vorteil gegenüber einer Hormonersatztherapie mit Östrogenen in den Wechseljahren bei noch vorhandener Gebärmutter, wo dann immer zusätzlich auch ein Gestagen zur gezielten Abblutung der Schleimhaut gegeben werden muss, da sonst ein Gebärmutterkrebs verursacht werden könnte. An der weiblichen Brust hat Raloxifen eine dem Tamoxifen vergleichbare Wirkung (eben wie ein Antiöstrogen), was quasi als „kostenloser“ Zusatzeffekt neben der Osteoporosetherapie auch eine signifikante Abnahme des Risikos für Brustkrebs bewirkt hat (im Gegensatz zu Östrogenen)!
Ebenso wie die Bisphosphonate bewirkt Raloxifen (der bisher einzige zugelassene SERM) eine deutliche und diesen vergleichbare Senkung der Knochenabbaurate und an den Wirbelkörpern eine vergleichbare Reduktion des Knochenbruchrisikos. Das folgende Bild zeigt im Vergleich die Reduktion des Risikos für neue Wirbeleinbrüche bei postmenopausalen Frauen nach einem Jahr Behandlung mit entweder Alendronat (Fosamax®), Risedronat (Actonel®) oder Raloxifen (Evista®). Natürlich sind die einzelnen Studien aufgrund des unterschiedlichen Alters der in den jeweiligen Studien eingeschlossenen Patientinnen nicht direkt vergleichbar, doch zeigt dieses Bild (mit freundlicher Genehmigung: Lilly Deutschland GmbH) doch deutlich, dass zumindest keine großen Unterschiede des diesbezüglichen Effektes bestehen. Links (weiße Balken) ist jeweils die Anzahl der innerhalb eines Jahres aufgetretenen Wirbelbrüche in der nur mit Placebo behandelten Kontrollgruppe, rechts (grüner, blauer bzw. gelber Balken) die Anzahl der innerhalb eines Jahres aufgetretenen Wirbelbrüche unter Behandlung mit einem der drei Medikamente dargestellt.
Die Knochendichte nimmt unter Therapie mit Raloxifen (Evista®) ebenfalls leicht zu, wenngleich weniger deutlich als bei den Bisphosphonaten. Ob auch eine Wirkung auf die Reduktion des Oberschenkelhalsbruchrisikos unter Evista® vorhanden ist, wurde bisher nicht untersucht, da in der sog. MORE-Studie an über 7000 postmenopausalen Frauen mit Evista® im Vergleich zu den großen Studien mit Alendronat (Fosamax®) und Risedronat (Actonel®) das Durchschnittsalter der eingeschlossenen Patientinnen signifikant geringer war und der Oberschenkelhalsbruch ja vor allem ein Bruch der älteren Frau über 70 Jahre ist. Vergleichbar ist allerdings die mittels Laboruntersuchung feststellbare Absenkung der Knochenabbaumarker, die ebenfalls ein Hinweis für eine erfolgreiche Absenkung der Knochenabbaurate darstellen.
Derzeit gibt es nur einen für die Therapie der Osteoporose zugelassenen SERM, das Raloxifen (Evista®). Weitere Präparate sind jedoch – ebenso wie bei den Bisphosphonaten – in der Entwicklung.
Nebenwirkungen und Einnahmevorschriften
Da Raloxifen (Evista®) an einem Teil der Östrogenrezeptoren ähnlich wie Östrogene wirkt, sollte man Evista® ebenso wie Östrogene nicht einnehmen, wenn schon einmal eine Lungenembolie oder eine tiefe Beinvenenthrombose aufgetreten ist, da auch Raloxifen (ebenso wie die Östrogene) die Gefahr solcher Ereignisse – zumindest bei Risikopatientinnen – erhöhen kann. Dies ist die hauptsächliche Nebenwirkung von Evista®. Weitere mögliche, jedoch unter Raloxifen seltene Nebenwirkungen wie z.B. Leberschädigungen, Kopfschmerzen, allergische Reaktionen etc., sind nicht signifikant häufiger als z.B. bei den Bisphosphonaten oder anderen Medikamenten.
Im Gegensatz zu den Bisphosphonaten ist Raloxifen wegen des besonderen Wirkmechanismus jedoch nicht bei jüngeren Frauen anwendbar, also bei Frauen, die noch nicht in der Menopause sind. Aufgrund der östrogenähnlichen Molekülstruktur würde Raloxifen mit den in den Eierstöcken gebildeten Östrogenen (bei Frauen vor der Menopause) an den Östrogen-Rezeptoren (Ankerplätze) sozusagen in Konkurrenz treten. Beide Substanzen könnten sich dadurch in ihrer Wirkung gegenseitig abschwächen oder behindern. Evista® sollte also keinesfalls bei jüngeren Frauen angewendet werden. Zwar sind bisher sowohl Raloxifen wie auch Bisphosphonate nur für die Behandlung der postmenopausalen Osteoporose (in diesem Fall macht die Einteilung sogar Sinn) zugelassen, jedoch kann im Falle einer jüngeren Patientin mit schon vorhandener Osteoporose und dringender Behandlungsindikation aufgrund der unterschiedlichen Wirkmechanismen trotz fehlender Zulassung in diesen Fällen nur ein Bisphosphonat angewendet werden.
Dafür sind unter Evista® keine besonderen Einnahmevorschriften zu beachten. Der Einnahmezeitpunkt sollte jedoch wie bei fast allen anderen Medikamenten immer möglichst gleich sein, also entweder morgens oder abends, um einen weitgehend gleichbleibenden Blutspiegel zu gewährleisen.
Nebenwirkungen müssen nicht immer schlecht sein, sondern können durchaus positiv oder erwünscht sein. In diesem Fall sprechen wir besser von positiven Nebeneffekten. Raloxifen verfügt über wenigstens 2 positive Nebeneffekte, was dieser Substanz eine besondere Attraktivität verleiht. Wie unter dem Punkt Wirkmechanismus schon erwähnt, besitzt Raloxifen an der weiblichen Brust sog. antiöstrogene Eigenschaften. Der bei weitem wichtigste positive Nebeneffekt von Raloxifen ist die deutliche Reduktion des Risikos für das Auftreten von Brustkrebs, wie in der schon erwähnten MORE-Studie eindrucksvoll über einen Zeitraum von mittlerweile vier Jahren nachgewiesen werden konnte. Da die Muttersubstanz des Raloxifen, das Tamoxifen, ja seit Jahren in der Nachbehandlung von Patientinnen mit Brustkrebs eingesetzt wird, ist dies nicht einmal so verwunderlich. Viel erstaunlicher ist die Tatsache, dass Raloxifen anscheinend sowohl sehr effektiv bei der Behandlung der Osteoporose ist und zugleich das Risiko für Brustkrebs deutlich senkt (im Gegensatz zu Östrogenen, die ja gerade das Brustkrebsrisiko etwas zu erhöhen scheinen)! Ein weiterer positiver Nebeneffekt von Raloxifen ist eine oft zu beobachtende Absenkung der Blutfette, hier vor allem des Cholesterins. So kann bei postmenopausalen Frauen, die wegen eines erhöhten Cholesterinspiegels einen sog. Lipidsenker einnehmen müssen und zusätzlich wegen einer Osteoporose oder Osteopenie mit Evista® behandelt werden, der Lipidsenker hier nicht selten sogar eingespart und sozusagen dann „zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden“ (Abbildung mit freundlicher Genehmigung: Lilly Deutschland GmbH).